Betriebliche Gestaltungsspielräume für distributive Gerechtigkeit

 

Good Pay Dreieck

Good Pay wird – unter Beachtung der Wertschöpfung und der Wettbewerbssituation am Arbeitsmarkt – auf die betriebliche Situation passgenau zugeschnitten. Dabei sind zum einen die Arbeitsaufgabe der Mitarbeiter, ihre Arbeitszeit und der Arbeitsort zu berücksichtigen und zum anderen die Werte des Unternehmens, seine Kultur sowie die Mitarbeiterführung und die Leistung der Mitarbeiter bzw. ihr Arbeitsergebnis.

Die kulturabhängigen Kriterien für ein Vergütungssystem – die distributive Gerechtigkeit – werden im Einzelnen nicht erläutert. An einigen Beispielen wird jedoch sowohl auf den (langsamen) Wandel, aber auch auf das Beharrungsvermögen der Gerechtigkeitsvorstellungen und ihre Auswirkungen auf Vergütungssysteme hingewiesen. Damit wird auch deutlich, dass nicht allein die Höhe der Vergütung – die für den Homo oeconomicus ausschließlich wichtig ist – sondern auch die Wert- und Gerechtigkeitsvorstellungen der Beteiligten wichtig sind. Dabei unterliegen die Veränderungen einem langsamen Wertewandel und nicht kurzzyklischen modischen Wellen, wie Vertreter von New Pay nicht selten formulieren.

Familienstand und Anzahl der Kinder der Mitarbeiter

Seit dem 17. Jahrhundert – bis zum Jahr 2005 – gehörte es in Deutschland zur Kultur der Branchen öffentliche Verwaltung und Wohlfahrtspflege, dass die Mitarbeiter einen Verheirateten-Zuschlag und einen Kinderzuschlag für Kinder, die zum Haushalt des Mitarbeiters gehörten, erhielten. Grundlage dafür war der Umstand, dass der Mann als Haushaltsvorstand und Alleinverdiener seine Familie zu ernähren hatte. Die Bedürftigkeit des Haushaltsvorstandes war ein Maßstab für die Vergütung. Da sich das Rollenverständnis von Mann und Frau in den letzten Jahrzehnten in Deutschland stark verändert hat und in der betrieblichen Praxis Familienväter die teureren Mitarbeiter waren, was bei einer einseitigen Kostenbetrachtung zu einer Fehlsteuerung führen und kontraproduktiv sein kann, wurde im neuen Tarifvertrag des Öffentlichen Dienstes im Jahre 2005 das Alimentationsprinzip verworfen. In einzelnen kulturellen Nischen, wie z. B. in einigen regionalen Arbeitsvertragsrichtlinien der Diakonie, wird weiterhin das Alimentationsprinzip als wichtiges Element der Unternehmenskultur angewandt.

Alter der Mitarbeiter

Unter der Annahme, dass die Anzahl der Lebensjahre die Erfahrung des Arbeitnehmers widerspiegelt und somit zu einer höheren und/oder besseren Leistung führt, war die Honorierung des Alters in Vergütungssystemen rund 300 Jahre Teil der deutschen Vergütungskultur in der staatlichen Verwaltung. Seit der Einführung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) im Jahr 2006 ist die Vergütung aufgrund des Lebensalters diskriminierend und gesetzeswidrig. Nicht zuletzt deshalb löste im Jahr 2005 der Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes (TVöD) den Bundesangestelltentarifvertrag (BAT) ab.

Ergebnis bzw. Erfolgsbeteiligung

Die Beteiligung der Mitarbeiter am Ergebnis bzw. Erfolg des Unternehmens ist eine gute Vergütungsmöglichkeit, denn der Wertschöpfungsbeitrag der Mitarbeiter schlägt sich im Ergebnis des Unternehmens nieder.

Um eine Ergebnisbeteiligung zu realisieren ist es wichtig, dass mindestens zwei wichtige Voraussetzungen erfüllt sind

  • die Eigentümer des Unternehmens wollen ihre Ergebnisse (Gewinne, Renditen, …) offenlegen
  • die Unternehmensergebnisse werden standardisiert, transparent und eindeutig ermittelt, damit Manipulationsmöglichkeiten ausgeschlossen sind.

Mitarbeiter verzichten bei Erfolgsbeteiligungen nicht selten auf „Spitzengehälter“, weil sie nicht zuletzt aufgrund der Erfolgsbeteiligung angemessen verdienen können. Insbesondere Startups gehen zunehmend diesen Weg, wenn sie ihre Mitarbeiter nicht sogar am Kapital des Unternehmens beteiligen.

Mitarbeiterkapitalbeteiligung

Die für die Ergebnis- bzw. Erfolgsbeteiligung ausgeführten Überlegungen gelten auch für die Mitarbeiterkapitalbeteiligung, hinzu kommt die Beteiligung am zunehmenden Wert des Unternehmens. Mitarbeiterkapitalbeteiligungen liegen z. B. bei Startups im Trend, die Vorbilder sind hierbei u. a. die Unternehmen Apple und Windows. Durch diese erfolgreichen Vorbilder wird das Risiko im Fall der Insolvenz das eingesetzte Mitarbeiterkapital zu verlieren nicht selten unterschätzt.

Das doppelte Äquivalenzprinzip

In deutschen Kulturkreis wurde bereits in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts das sogenannte doppelte Äquivalenzprinzip entwickelt und von Erich Kosiol beschrieben. Das doppelte Äquivalenzprinzip besagt, dass die Mitarbeiter entsprechend ihrem Leistungsbeitrag zur Wertschöpfung des Unternehmens, differenziert nach der Arbeitsaufgabe die sie ausführen und ihrer individuellen Arbeitsleistung, an der Wertschöpfung des Unternehmens partizipieren sollen. D. h. sie werden entsprechend der ihnen übertragenen Arbeitsaufgabe und ihrer Leistung vergütet.

Kulturelle Grenzen des Leistungsprinzips

In einigen Branchen wird das Leistungsprinzip als kulturfremd abgelehnt, zu nennen ist hier z. B. die Wohlfahrtspflege und hier insbesondere der caritative und diakonische Bereich. Ausgehend von den Prämissen, dass zum einen die Arbeit mit und an Menschen per se eine hohe intrinsische Motivation hat und sich zum anderen jeder Mensch „nach seinen Gaben engagiert“, erhalten die Mitarbeiter für die gleiche bzw. gleichwertige Arbeit unter Berücksichtigung der einschlägigen Berufserfahrung das gleiche Entgelt. Diese Vorgehensweise stellt letztendlich – wie die Praxis zeigt – das Prinzip „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ infrage.

Corona-Bonus im Jahr 2020

Der Corona-Bonus, der im Jahr 2020, anlässlich der Corona-Krise von staatlicher Seite insbesondere für die Mitarbeiter in den systemrelevanten Berufen steuer- und sozialversicherungsfrei gestellt wurde, trägt zum einen die Züge einer Gefahrenzulage. Während Lehrer, die sich zur Risikogruppe zählten, bei voller Bezahlung daheimbleiben konnten, mussten Pflegekräfte, Ärzte, Verkäuferinnen, Reinigungskräfte und viele andere Menschen ihrer gefährdenden Arbeit nachgehen. Eine Reihe von Unternehmen, z. B. die Metall- und Elektroindustrie und das Baugewerbe, die nicht „systemrelevant“ waren, zahlten ihren Mitarbeitern den Corona-Bonus für ihre zusätzlichen Belastungen, die ihnen durch die Kinderbetreuung, Homeschooling und andere Widrigkeiten in der Corona-Krise entstanden. In diesem Fall stand als Motiv der Unternehmen die Bedürftigkeit der Mitarbeiter im Vordergrund. Der Corona-Bonus wurde in den betreffenden Unternehmen als zusätzliche Vergütung für alle Vollzeitmitarbeiter, absolut gleich, d. h. unabhängig von der Höhe ihrer Monatsvergütung, ausgezahlt.

 

    gemeinsam erarbeiten – gerecht gestalten – fair anwenden