Betriebliche Gestaltungsspielräume für prozedurale und interaktionale Gerechtigkeit
Ein Vergütungssystem soll fair angewendet werden. Schweizer Studien belegen, dass die faire Anwendung der Vergütungssysteme bei den Mitarbeitern einen höheren Stellenwert hat als ihre gerechte Gestaltung. Dieses Ergebnis löst zunächst Stirnrunzeln und Verwunderung aus. Es weist darauf hin, dass es um die gerechte Gestaltung der Vergütungssysteme gut bestellt ist, die Mitarbeiter jedoch in der fairen Umsetzung der Vergütungssysteme Defizite erleben und diese anprangern.
Transparenz und Beteiligung kann beim Leistungsentgelt sehr gut durch Zielvereinbarungen zwischen Führungskräften und Mitarbeitern oder Führungskräften und Teams erreicht werden. Hinsichtlich der Zeithorizonte – in der Regel ein Jahr – und der zu erreichenden Ziele, die quantitativ und qualitativ vereinbart werden können (Eyer & Haussmann, 2018) herrscht eine ebenso hohe Transparenz wie hinsichtlich der Beeinflussbarkeit der Zielerreichung durch die Mitarbeiter bzw. Teams. Die den Mitarbeitern zur Verfügung stehenden Ressourcen sind ebenfalls offengelegt.
Im agilen Umfeld, der VUCA-Welt (volatility, uncertainty, complexity und ambiguity), in der sich die Rahmenbedingungen sehr schnell und kurzzyklisch ändern, gestaltet sich die Anwendung von Zielvereinbarungen schwieriger. Der Aufwand für valide Zielvereinbarungen für das Entgelt ist sehr hoch bzw. unverhältnismäßig hoch. Als Instrument der extrinsischen Motivation der Mitarbeiter durch die Führungskräfte bietet sich in diesem Fall die Leistungsbeurteilung – oder besser formuliert die systematische Leistungsbewertung – an (Biemann & Weckmüller, 2020), die sinnvollerweise auch die Bewertung der eigenen Leistung durch die Mitarbeiter (Eyer & Webers, 2000) einbezieht. Dank der wertschätzenden Kommunikation wird dadurch – wie die Erfahrung zeigt – in den Augen der Mitarbeiter ebenfalls eine hohe interaktionale Gerechtigkeit erzielt.
Demokratisierung der Leistungsbeurteilung
Transparenz und Beteiligung sind zwei wichtige Eckpunkte der Leistungsbeurteilung. Die häufig geforderte „Demokratisierung“ (Fricke & Wagner 2012) der Leistungsbeurteilung und damit auch die Akzeptanzsicherung ihrer Ergebnisse kann in verschiedenen Stufen, differenziert nach dem Grad der Beteiligten, erfolgen.
- Stufe 1: Leistungsbeurteilung durch die Führungskraft
- Stufe 2: Leistungsbeurteilung durch die Führungskraft, ergänzt um die Selbstbeurteilung der Mitarbeiter (Fremd- und Selbstbeurteilung),
- Stufe 3: Leistungsbeurteilung durch das Team in dem der Mitarbeiter arbeitet incl. der Führungskraft
- Stufe 4: 360 Grad Leistungsbeurteilung, bei der zusätzlich zum Team und der Führungskraft die Kunden und Lieferanten einbezogen werden.
Diese Methoden der Umsetzung von Vergütungssystemen, insbesondere Leistungsentgeltsystemen, sind nicht neu (Eyer, E.; Fischer, W.; Webers & Th. & Wevers, J., 1999); sie werden in einigen Unternehmen, zumeist beschränkt auf einzelne Bereiche, erfolgreich angewendet. In der Sozialwirtschaft sind Fremd- und Selbstbeurteilung eher die Regel, weil sie zur dortigen Kultur gut passen. Die Teambewertung und die 360 Grad Bewertung stellen besondere Anforderungen an die Selbstreflektion und Konfliktfähigkeit der Mitarbeiter, denn nach der Teambeurteilung soll eine erfolgreiche Zusammenarbeit noch besser funktionieren als vor der Teambeurteilung. Nicht selten werden Team- und 360 Grad Bewertungen eher in kleinen Unternehmen, z. B. Startups, angewendet, in denen die Mitarbeiter auch zugleich Gesellschafter sind und der Anspruch an eine starke basisdemokratische Beteiligungskultur und an Konsensentscheidungen relativ hoch ist.
Training für faire Leistungsbeurteilung
Der offene und transparente Umgang mit der Arbeitsleistung und dem Leistungsverhalten der Mitarbeiter ist weder für die Führungskräfte, Kollegen und Mitarbeiter noch für ihre Vertreter einfach. Die offenen Beurteilungsgespräche erfordern ein hohes Maß an Reflektion und Selbstkritik von allen Beteiligten und die Bereitschaft, trotz der offenen Aussprache sowie gewisser Differenzen und Verletzungen weiterhin gut und konstruktiv zusammenzuarbeiten. Hier ist ein respektvoller und wertschätzender Umgang miteinander gefragt (Müller 2018), der nicht zuletzt in Trainings vermittelt werden kann.
Schulungen, in denen sowohl Führungskräfte als auch Mitarbeiter trainiert und hinsichtlich der „normalen“ Leistung „geeicht“ werden, um die Leistungsbeurteilungen möglichst fair und gleich anspruchsvoll durchführen zu können, erhöhen die Reliabilität und Validität der Leistungsbeurteilung sowie deren Akzeptanz durch die Mitarbeiter.
gemeinsam erarbeiten – gerecht gestalten – fair anwenden